Die Grenzen der Gemeinsamkeit
5. Oktober 2012 1 Kommentar
Der Gesetzesentwurf zur elterlichen Sorge (Art. 301a, neu) steht zur Behandlung im Nationalrat an. Einer der Streitpunkte ist der sogenannte Zügelartikel. Konsequenz der Forderung nach einem gemeinsamen Sorgerecht ist das Recht beider Elternteile, gemeinsam darüber zu entscheiden, wo sich der Lebensmittelpunkt des gemeinsamen Kindes befindet. Logsche Schlussfolgerung wäre demzufolge auch, dass beide Elternteile mit einer Verlegung des Lebenmittelpunktes einverstanden sein müssten.
Margret Kiener Nellen, SP-Nationalrätin aus dem Kanton Bern, wehrt sich im Mamablog vehement dagegen, dass Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht nur mit dem Einverständnis des anderen Elternteils umziehen dürfen, wenn der Wechsel «erhebliche Auswirkungen» auf die Ausübung der elterlichen Sorge durch den andern Elternteil hat. Sie begründet das damit, dass dieser Artikel die verfassungsrechtlich verakerte Niederlassungsfreiheit, das Recht auf persönliche Freiheit und Existenzsicherung tangieren würde, weil derjenige Elternteil, bei dem das gemeinsame Kind lebt, zum Beispiel nicht einfach umziehen könnte, wenn ihm irgendwo eine neue Stelle angeboten wird.
Dieser Einwand schiesst weit übers Ziel hinaus. Ein Einwand wäre nur möglich, wenn der Wechsel «erhebliche Auswirkungen» auf die Ausübung der elterlichen Sorge hätte. Eine neue Arbeitsstelle und ein Umzug nach Zürich, Bern oder St. Gallen würde also nicht darunter fallen. Und das Prinzip der gemeinsamen Sorge bedeutet nun mal, dass beide Elternteile nicht nur Pflichten sondern auch Rechte haben. Diese können in einem so zentralen Bereich nicht einfach negiert werden, nur weils einem Elternteil besser in den Kram passt.
Das Prinzip des gemeinsamen Sorgerechts hat den Nachteil, dass es ein Schönwetterprinzip ist. Solange man sich einig ist, funktioniert es wunderbar. Schwierig wird es, wenn es zwischen den Eltern unterschiedliche Auffassungen gibt. Welche Schule soll das Kind besuchen? Ist eine Operation notwendig? Ist ein Umzug zumutbar? Man könnte in jedem Fall genau gleich argumentieren, wenn man davon ausgeht, dass der eigene Lösungsansatz demjenigen des Partners apriori überlegen ist.
Wenn am anspruchsvollen Ziel gemeinsamer Entscheide von Eltern, die sich auseinandergelebt haben, festgehalten werden soll, dann aber bitte mit Konsequenz. Und dazu gehört, dass man sich halt auch in der Frage des Lebensmittelpunktes des Kindes auf eine Lösung einigt, mit der beide leben können.