Die Grenzen der Gemeinsamkeit

Der Gesetzesentwurf zur elterlichen Sorge (Art. 301a, neu) steht zur Behandlung im Nationalrat an. Einer der Streitpunkte ist der sogenannte Zügelartikel. Konsequenz der Forderung nach einem gemeinsamen Sorgerecht ist das Recht beider Elternteile, gemeinsam darüber zu entscheiden, wo sich der Lebensmittelpunkt des gemeinsamen Kindes befindet. Logsche Schlussfolgerung wäre demzufolge auch, dass beide Elternteile mit einer Verlegung des Lebenmittelpunktes einverstanden sein müssten.

Margret Kiener Nellen, SP-Nationalrätin aus dem Kanton Bern, wehrt sich im Mamablog vehement dagegen, dass Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht nur mit dem Einverständnis des anderen Elternteils umziehen dürfen, wenn der Wechsel «erhebliche Auswirkungen» auf die Ausübung der elterlichen Sorge durch den andern Elternteil hat. Sie begründet das damit, dass dieser Artikel die verfassungsrechtlich verakerte Niederlassungsfreiheit, das Recht auf persönliche Freiheit und Existenzsicherung tangieren würde, weil derjenige Elternteil, bei dem das gemeinsame Kind lebt, zum Beispiel nicht einfach umziehen könnte, wenn ihm irgendwo eine neue Stelle angeboten wird.

Dieser Einwand schiesst weit übers Ziel hinaus. Ein Einwand wäre nur möglich, wenn der Wechsel «erhebliche Auswirkungen» auf die Ausübung der elterlichen Sorge hätte. Eine neue Arbeitsstelle und ein Umzug nach Zürich, Bern oder St. Gallen würde also nicht darunter fallen. Und das Prinzip der gemeinsamen Sorge bedeutet nun mal, dass beide Elternteile nicht nur Pflichten sondern auch Rechte haben. Diese können in einem so zentralen Bereich nicht einfach negiert werden, nur weils einem Elternteil besser in den Kram passt.

Das Prinzip des gemeinsamen Sorgerechts hat den Nachteil, dass es ein Schönwetterprinzip ist. Solange man sich einig ist, funktioniert es wunderbar. Schwierig wird es, wenn es zwischen den Eltern unterschiedliche Auffassungen gibt. Welche Schule soll das Kind besuchen? Ist eine Operation notwendig? Ist ein Umzug zumutbar? Man könnte in jedem Fall genau gleich argumentieren, wenn man davon ausgeht, dass der eigene Lösungsansatz demjenigen des Partners apriori überlegen ist.

Wenn am anspruchsvollen Ziel gemeinsamer Entscheide von Eltern, die sich auseinandergelebt haben, festgehalten werden soll, dann aber bitte mit Konsequenz. Und dazu gehört, dass man sich halt auch in der Frage des Lebensmittelpunktes des Kindes auf eine Lösung einigt, mit der beide leben können.

Sparpaket versenkt

Dass das Sparpaket der Baselbieter Regierung in der Volksabstimmung durchfällt, war absehbar. Die Befürworter haben zu viele grobe Fehler gemacht.

Nicht sehr ermutigend war auch der Auftritt der Regierung nach dem Ergebnis. Irgendwie doch an den Massnahmen festhalten und irgendwann eine leicht veränderte Vorlage präsentieren reicht nicht. Damit wird man das Problem definitiv nicht lösen können. Es wäre Zeit, sich mal ein paaar grundsätzliche Gedanken zu machen.

Gesellschaftskrise

Bei der Lektüre eines Artikels im heutigen Tagesanzeiger über Spiros Latsis beschleicht einem das Gefühl, dass die gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrisen eine tiefere Ursache habe und dass es sich eigentlich um die Krise einer Gesellschaft handelt, der tragende Werte drohen, abhanden zu kommen. Und wenngleich Herr Latsis zweifellos ein erfolgreicher und persönlich integerer Geschäftsmann ist, wäre doch interessant zu erfahren, was jemandem so durch den Kopf geht, wenn man auf einer 122-Meter-Luxusyacht (Crew: 60 Personen) durchs Mittelmeer schippert und auf dem Sonnendeck über die gegenwärtige Situation in seinem ursprünglichen Heimatland Griechenland nachdenkt.

Seine Yacht ‚Alexander‘ kann man übrigens mieten. ‚Staatsoberhäupter, Könige und Prominente haben dieses Angebot genutzt und erholten sich auf den geräumigen Sonnendecks mit Swimmingpool, Kino und allem Komfort vom stressigen Alltag der Reichen und Schönen‘, so wird sie online angepriesen – leisten kann man sich dieses Vergnügen ab EUR 630’000 pro Woche.

Unsäglicher Populismus von FDP-Präsident Müller

Schon wieder FDP-Präsident Philipp Müller. Noch keine Woche ist es her, dass er als Präsident der Partei des Lächelns Thema war bei grenzenbasellos. Und erneut dokumentiert er sein offensichtlich ziemlich stammtischnahes Politikverständnis.

Dieses Mal geht es um die Haltung der FDP zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative der SVP. Der Bundesrat will sie völkerrechtskonform umsetzen und schickte darum zwei Varianten in die Vernehmlassung. Die eine sieht eine gerichtliche Prüfung vor, um schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte bei Ausschaffungen zu vermeiden. Die andere entspricht den Forderungen der SVP und schreibt vor, dass Ausländerinnen und Ausländer, die wegen bestimmter Delikte verurteilt werden, automatisch ausgeschafft werden – ohne Prüfung der Verhältnismässigkeit und ungeachtet der Frage, ob dies gegen das Menschenrecht auf Familienleben oder andere internationale Verträge verstösst.

Bisher plädierte die FDP für eine völkerrechtskonforme Umsetzung. Nun sieht das der neue FDP-Präsident aber anders und begründet das damit, dass das Volk mit dem Ja zur Initiative in Kauf genommen habe, dass allenfalls gegen die europäische Menschenrechtskonvention, die Personenfreizügigkeit oder das Verfassungsgebot der Verhältnismässigkeit verstossen wird. «Nun sollen jene die Verantwortung übernehmen, die das so wollten. Nur am gelebten Beispiel zeigt sich, was die Initiative in der Realität bewirkt» lässt sich Nationalrat Müller in der Aargauer Zeitung vernehmen.

Nun ist das mit dem Übernehmen von Verantwortung so eine Sache. Verurteilte ausländische Straftäterinnen und Straftäter sollen die Konsequenzen ihres Handelns tragen und  – weil sie sich ja über die potenziellen Konsequenzen im Klaren sein konnten – konsequent ausgewiesen werden. Aha! Und die Schweizer Stimmberechtigten haben im Wissen um die potenzielle Verletzung internationaler Vereinbarungen und von Verfassungsgrundsätzen entschieden, die Initiative der SVP anzunehmen und damit steht die Bevölkerung insgesamt nun auch in der Verantwortung, die Konsequenzen – etwaige Folgen von Rechtsverletzungen – zu tragen. Soso!

Und genau hier setzt meine Kritik an. Ich halte es für sehr fragwürdig, die Bevölkerung schon mal für absehbare Folgen von anstehenden Entscheiden der Politik  prophylaktisch verantwortlich zu machen. Sie Herr Müller, und niemand anders, entscheiden zusammen mit den übrigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern darüber, ob die Schweiz sich ins Unrecht setzen wird und es diese absehbaren Rechtsverletzungen geben wird oder nicht.

Wer sich als verantwortlicher Politiker beim Entscheid, ob die Initiative völkerrechtskonform umgesetzt werden oder nicht sich – auf  Wähleranteile schielend – hinter der Bevölkerung versteckt, entzieht sich selber der Verantwortung für das eigene Handeln, welches er von allen anderen so gerne einfordert. Es geht bei dieser Frage nicht um irgendwelche abstrakte Verwaltungsentscheide sondern um Schicksale. «Nun sollen jene die Verantwortung übernehmen, die das so wollten. Nur am gelebten Beispiel zeigt sich, was die Initiative in der Realität bewirkt» sagt Müller und macht damit deutlich, dass er allenfalls bis an irgend eine Stammtischkante über die möglichen Folgen nachgedacht hat.

Staatliches Handeln auf der Basis von Verhältnismässigkeit und keine sture Bürokratie wird in jedem anderen Bereich eingefordert – auch und gerade von der FDP. Zurecht. Kein flächendeckendes Büssen von Parksündern, keine systematische Jagd auf Temposünder, Augenmass beim Umsetzen von staatlichen Vorschriften, und so weiter. Und wenn eine Partei ihre Unterschriften für eine Volksinitiative nicht rechtzeitig zusammen bekommt ist es nichts als recht, wenn die Büros der Verwaltung für einmal etwas länger aufbleiben als vorgesehen.

Aber in diesem Fall soll das alles nicht gelten, selbst um den Preis der Verletzung von Verfassungsgrundsätzen nicht. Damit hat der Populismus definitiv Einzug gehalten in einer Partei, die sich jahrzehntelang als Hüterin rechtsstaatlicher Prinzipien sah. Es ist zu hoffen, dass sich liberale Mitglieder endlich gegen den Law-and-Order-Spasskurs ihres neuen Präsidenten zur Wehr setzen. Als unbedeutender Beitrag sistiere ich meine Mitgliedschaft in der mit der FDP verbandelten Liberalen Partei.

Ein Entlastungspaket vor dem Absturz

Am 17. Juni entscheiden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Kanton Basel-Landschaft über eine wichtige Finanzvorlage. Das ‚Entlastungspakte‘ ist die Reaktion der Regierung auf die ziemlich desolate Finanzsituation im Landkanton. Der Saldo der Erfolgesrechnung hat sich seit dem Jahr 2005 (+ CHF 32 Mio.) kontinuierlich verschlechtert. Für das laufende Jahr sind (ohne Entlastungspaket) minus CHF 214 Mio. budgetiert, bei einer Annahme immerhin noch minus CHF 146 Mio. Zudem gibt es noch einige Grossbaustellen wie etwa der Spitalbereich oder die anstehende Sanierung der Baselbieter Pensionskasse, welche in den kommenden Jahren zusätzliche massive Belastungen mit sich bringen werden.

Mit 158 Einzelmassnahmen soll der Haushalt in den kommenden Jahren um 180 Mio. Franken entlastet werden. Bezahlen würden die Zeche die Gemeinden und die Bevölkerung – durch Leistungsabbau, Kostenverlagerungen und durch höhere Gebühren. Logisch, dass jeder der 158 Massnahmen unter den davon Betroffenen Widerstand erwächst. Ebenfalls nicht zur Verbesserung der Chancen auf ein ‚Ja‘ am 17. Juni trägt bei, dass neben dem Entlastungspaket zeitgleich noch über drei weitere Vorlagen abgestimmt wird, welche für die Regierung wichtige Elemente ihres Sparkonzepts darstellen, gegen die sich aber verschiedene Mitglieder des Pro-Komitees wehren, weil sie mehr ‚Zentralismus‘ und  Mehrkosten erwarten.

Diese Abstimmung wäre sogar unter idealen Voraussetzungen schwierig zu gewinnen. Wenn sich die Befürworterinnen und Befürworter aber bei jeder Gelegenheit gegenseitig widersprechen, wenn erst während der Kampagne bekannt wird, dass sich die Regierung von einem externen Beratungsunternehmen für 750’000 Franken beim Planen des Sparens helfen lies und wenn Fehler der Kampagnenleitung zu verheerenden Schlagzeilen in den Medien führen (Beispiel: ‚Entlastungspaket: Ja-Komitee wirbt mit falschen Angaben‘ in der Volksstimme), dann ist ein Erfolg praktisch unmöglich.

Es fehlt an Transparenz, weil Teile des befürwortenden Komitees an JA als Garantie gegen künftige Steuererhöhungen propagiert, während ein anderer Teil zusätzliche Massnahmen in den nächsten Jahren in jedem Fall für unverzichtbar hält. Uneinig ist sich das Komitee auch über weitere Fragen, zum Beispiel darüber, ob die drei zusätzlichen Vorlagen (Reorganisation der Gerichte, der Behörden im Zivilrecht und der Verzicht auf die Führung der Amtsnotariate) Einsparungen bringen werden oder zusätzliche Kosten verursachen.

Es fehlt eine stringente Argumentation, es fehlt ein überzeugendes Kampagnenkonzept und es fehlt eine Umsetzung mit Aussicht auf Erfolg. Weder mit Beschwörungen ‚Der Regierungsrat und das Baselbieter Parlament haben diesen Vorlagen mit grosser Mehrheit zugestimmt‘ noch mit abgedroschenen Floskeln ‚Entlastungspaket JA. Schulden nicht auf die nächste Generation abschieben‘ gewinnt man im 21. Jahrhundert Abstimmungen.

Das hat sich jüngst in Riehen gezeigt, wo am 6. Mai 2012 über die Veräusserung des gemeindeeigenen Kabelnetzes abgestimmt wurde. Auch da bewegten sich die Argumente der Befürworterinnen und Befürworter auf der gleichen Schiene. Auch in Riehen war der Gemeinderat geschlossen für den Verkauf, das Parlament hatte dem Geschäft mit grosser Mehrheit zugestimmt (die Zeiten, in denen das als Garantie für Ja-Mehrheiten bei Abstimmungen genügte, sind längstens vorbei!) und auch da warb das Pro-Komitee mit inhaltsleeren Floskeln (‚Ja zu einem zuverlässigen Kabelnetz für die Zukunft‘) statt mit Fakten.

Ich habe mich, zusammen mit der SP (die das Referendum ergriffen hatte) und einigen bürgerlichen ‚Dissidenten‘ aus Überzeugung gegen einen Verkauf der Netzinfrastruktur ausgesprochen und die Nein-Kampagne mitkonzipiert. Wir haben diese Abstimmung mit 65,1% deutlich gewonnen, weil wir die konkreten Folgen und Risiken eines Verkaufs sowie die bestehenden Alternativen dazu aufgezeigt haben.

Abstimmungen über derart komplexe Sachfragen gewinnt man nicht mit Beschwörungsformeln sondern mit einem transparenten Gesamtkonzept und einer stringenten inhaltlichen Argumentation. Auf das Abstimmungsergebnis am 17. Juni darf man gespannt sein.

Die Partei des Lächelns

«Pack die Probleme an mit einem Lächeln auf den Lippen» ist das Motto von Philipp Müller, dem neuen Präsidenten der FDP Schweiz. Wie er sich das mit dem Weglächeln von Problemen konkret vorstellt, führt Nationalrat Müller in einem Interview mit der Aargauer Zeitung aus. Fehlende Emotionen seien es, die der FDP den Weg zurück zu Wahlerfolgen versperren würden. Darum soll es bei den Freisinnigen künftig viel emotionaler und durchaus auch ein bisschen rustikaler zu- und hergehen. Wählerinnen und Wähler werden die Verdienste, die sich die FDP als Gute-Laune- und Spasspartei künftig erarbeiten will, honorieren. Davon ist Parteipräsident Müller überzeugt.

Müller ist ein Macher. Darum wurde nicht lange gefackelt. Ein erster Auftrag ging an seine Luzerner Nationalratskollegen: Eine Geissel organisieren. Den Umgang mit der Peitsche will Müller während der Sommersession auf dem Bundesplatz öffentlich üben. Nicht mit dem Ziel allerdings, abtrünnige Exponenten von Partei und Fraktion zur Räson zu bringen sondern um am nächsten Chlausjagen in Küssnacht am Rigi («Tamtamtam, taataataataatam… ein Wahnsinnsfest!») teilzunehmen und dort eine gute Figur abzugeben.

Auch zu programmatischen Fragen hat der neue FDP-Chef offenbar ein entspannt-lockeres Verhältnis. Lange Zeit war es ein Markenzeichen insbesondere bürgerlicher und liberaler Politik, dass Positionen und Entscheidgrundlagen unter Mitwirkung vieler engagierter Parteimitglieder in Gesprächen, Hearings und Sitzungen sorgsam erarbeitet wurden, um dann in Positionspapiere und Vorstösse einzufliessen. In der Müller-FDP gibts auch dazu eine hemdsärmlige Alternative: «Ein anderes Beispiel: Nächstes Jahr ist Eidgenössisches Schwingfest. Und unser Luzerner Nationalrat Albert Vitali organisiert dieses Fest mit. Ich sagte ihm: Albert, du bist jetzt unser Kulturbeauftragter. Du organisierst, dass wir auf der Tribüne Plätze haben, damit wir mit dem FDP-Shirt die Schwinger anfeuern können.» Gespannt darf man sein, mit welchen weiteren Beiträgen die FDP und ihr Kulturbeauftragte Vitali (Hobbies: Jodeln, Schwingen, Kaninchenzucht, Skifahren, Wandern) künftig Zeichen setzen werden in der Schweizer Kulturpolitik.

«Nicht wegen billiger PR, sondern weil es uns Spass macht» will Philipp Müller geisselklöpfen und Schwinger anfeuern, und rechnet fest damit, dass seine gelebte Begeisterungsfähigkeit auf die Partei überspringt. Hut ab vor seinem Engagement, aber ob sich damit wirklich eine Trendwende herbeiführen lässt? Philipp Müller muss dazu Sorge tragen, dass sich seine Partei des Lächelns nicht unversehends der Lächerlichkeit preisgibt.

Provozierende Poesie

„Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh.“

Mit diesen Zeilen beginnt das Gedicht, mit dem Günter Grass (84), sich diese Woche der aktuellen gesellschafts- und währungspolitischen Situation in Griechenland annimmt und damit viel Aufmerksamkeit und ungleich mehr Kritik auf sich zieht. Hart ins Gericht mit dem Nobelpreisträger für Literatur (1999) geht Richard Kämmerlings heute in der WELT: „Den Griechen verdankt Europa bekanntlich viel, das trojanische Pferd zum Beispiel, die Olympischen Spiele oder das kaltgepresste Olivenöl. So gesehen kann man es natürlich undankbar finden, dass viele Europäer heute glauben, die Griechen sollten ein bisschen mehr tun, als sich angesichts der Misere ihrer Staatsfinanzen auf antiken Lorbeeren auszuruhen, beispielsweise sparen oder länger arbeiten.“

Gerade sieben Wochen ist es her, da hat der Autor mit einem Gedicht über (oder besser gesagt gegen) Israel ebenfalls harsche Reaktionen provoziert und nachträglich auch Fehler eingestanden.

„Jetzt aber, weil aus meinem Land,
[…]
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.“

Gedichte als politische Beiträge haben Tradition. Hoffmann von Fallersleben (1789-1874) beispielsweise gilt als Repräsentant der Vormärz, einer Epoche, in der die deutsche Lyrik wie kaum je vorher oder nachher politisch gegen Unfreiheit und Zensur eingesetzt wurde.

Ein Lied aus meiner Zeit

Ein politisch Lied, ein garstig Lied!
So dachten die Dichter mit Goethen
Und glaubten, sie hätten genug getan,
Wenn sie könnten girren und flöten
Von Nachtigallen, von Lieb und Wein,
Von blauen Bergesfernen,
Von Rosenduft und Lilienschein,
Von Sonne, Mond und Sternen.

[…]

Kann Lyrik im 21. Jahrhundert einen Beitrag zu gesellschaftlichen und politischen Diskussionen leisten? Und kann sie mehr als aufmerksam machen, protestieren, provozieren oder glorifizieren? Sie kann – wie Liedtexte auch – starke und eingängige Bilder schaffen, sie kann Diskussionen auslösen und sie kann Visionen aufzeigen. Was Lyrik nicht kann ist, Sachverhalte differenziert zu analysieren und realpolitisch durchsetzbare Lösungen aufzeigen. Das muss sie aber auch nicht und diese Aufgabe sollte man ihr auch nicht zuschanzen. Insofern ist die grosse Aufregung um die beiden Gedichte von Günter Grass übertrieben. Man tut gut daran, sie als subjektive Meinungsäusserung einer Persönlichkeit mit einem zweifellos grossen literarischen Werk (und einer nicht in jeder Hinsicht lupenreinen persönlichen Vergangenheit) stehen lassen und versuchen, inhaltliche Diskussionen sachlich zu führen. Denn gelöst werden (welt-)politische Herausforderungen durch Gedichte zweifellos nicht.

Eine gute Gelegenheit, sich mit aktueller Lyrik und ihrer Wirkung auseinander zu setzen ist übrigens der Tag der Poesie, der – einst vom Basler Kulturpreisträger Matthyas Jenny ins Leben gerufen – nach einer 24-jährigen Unterbrechung dieses Jahr erstmals wieder stattfindet – am Samstag, 8. September auf dem Theaterplatz in Basel. www.tagderpoesie.ch.

Weniger wäre mehr

Eigentlich ist es ja klar, dass nur die koordinierte Zusammenarbeit innerhalb unserer Region zu Erfolgen führt. Beim Standortmarketing, bei der Verkehrs- und Raumplanung und so weiter. Wer meint, Lösungen für künftige Herausforderungen zwischen dem Kannenfeldquartier und Kleinhüningen oder zwischen Birsfelden und Augst zu finden, dem fehlt die nötige Weitsicht.

Diese Woche hat das Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau entschieden, die Wirtschaftsförderung BaselArea damit zu beauftragen, künftig auch für das Fricktal als Standort für internationale Unternehmen zu werben. Das ist genauso erfreulich wie dass man sich in unseren Polit- und Wirtschaftskreisen langsam zu überlegen beginnt, ob es wirklich so viele verschiedene Organisationen braucht, die sich für die Förderung der regionalen Zusammenarbeit einsetzen. So verlangt der Arlesheimer FDP-Landrat Balz Stückelberger mit einer dringlichen Motion den Austritt des Kantons Basel-Landschaft aus dem Verein Metrobasel. Er begründet dies gegenüber onlinereports damit, „dass es zu viele Organisationen gibt, die sich für die regionale Zusammenarbeit und die Stärkung der Region Basel einsetzen“ und dass dies dazu führe, „dass trotz zahlreicher Organisationen eine ungenügende, unkoordinierte und ineffiziente Interessenvertretung der Region Basel respektive der Metropolitanregion Basel festgestellt werden muss“. Gestärkt werden solle die  „Metropolitankonferenz Basel“, die letztes Jahr auf Initiative der Nordwestschweizer Regierungskonferenz ins Leben gerufen worden ist.

Selbst der neue Baselbieter Wirtschaftsförderer und SVP-Nationalrat Thomas de Courten kommt in der Tageswoche vom 18. Mai 2012 zum Schluss, dass sich die Wirtschaft „ihre Standort nicht nach Kantonsgrenzen, sondern nach möglichst idealen z.B. politischen, rechtlichen und fiskalischen Rahmenbedingungen oder etwa nach Verfügbarkeit von Bauland und Fachkräften“ sucht.

Ein grosses Rätsel bleibt, warum Nationalrat de Courten, Mitglied ausgerechnet derjenigen Partei, die sich unter anderem damit brüstet, am konsequentesten für den urfreisinnigen Erfolgsslogan „Mehr Freiheit, weniger Staat“ zu kämpfen, als Argument gegen eine vermehrte Zusammenarbeit oder gar eine Kantonsfusion anführt, dass dadurch langfristig „8’000 bis 10’600“ Staatsstellen eingespart werden könnten.

Ein substanzieller Beitrag zur Behebung der Baselbieter Finanzmisere wäre das doch allemal.

Die Grenzen des Populismus

Alexis Tsipras, 37-jähriger Chef der griechischen Linksradikalen, hat ein Problem. Dank einem konsequent populistischen Wahlprogramm ist sein Bündnis Syriza bei den Wahlen vom 6. Mai 2012 hinter der konservativen Nea Dimokratia zur zweitstärksten Kraft geworden. Zentrale Aussage seines Wahlkampfes war das Versprechen, die Bevölkerung von all den Entbehrungen zu befreien, unter denen sie wegen dem gegenwärtigen Sparkurs der Regierung leidet.

Blöd ist jedoch erstens, dass ohne diesen Sparkurs ein Ende der massiven europäischen Hilfen droht, weil den anderen EU-Mitgliedsstaaten langsam die Geduld ausgeht, und das wäre für Griechenland faktisch gleichbedeutend mit einem Rausschmiss aus dem Euro-Raum – mit mutmasslich noch weit gravierenderen Folgen für die Bevölkerung.

Und blöd ist zweitens, dass ohne die Linksallianz keine Regierung gebildet werden konnte und dass Tsipras halt eigentlich auch nicht mitregieren kann. In Rekordzeit wären seine Wahlversprechen als illusorisch entlarvt. Was also tun? Tsipras übt sich weiterhin in rhetorischen Klimmzügen, um der Bevölkerung weis zu machen, ein Verbleib in der Euro-Zone sei auch ohne schmerzhaften Verzicht irgendwie möglich.

Im Juni gibt es Neuwahlen und niemand hofft wohl so inständig wie der linke Populist, dass sein Wahlbündnis nicht so stark wird, dass er Verantwortung übernehmen muss.

Die Grenzen des Populismus werden immer dann sichtbar, wenn grossen Versprechungen Taten folgen sollten.

Pro Helvetia-Direktor Pius Knüsel tritt zurück

Soeben informiert infamy, dass Pro Helvetia-Direktor Pius Knüsel per 30. September 2012 zurücktreten wird. In die Kritik geraten ist Knüsel wegen seiner umstrittenen Thesen zur Kulturpolitik, die er im Buch ‚Der Kulturinfarkt‘ zusammen mit drei anderen Autoren vertreten hat. Über die Thesen kann man diskutieren. Falsch finde ich es, wenn von Personen in verantwortlichen Positionen ausschliesslich stromlinienförmige und garantiert mehrheitsfähige Statements erwartet werden. Wir drohen, eine Streitkultur definitiv zu verlieren. Das schadet jeder Gesellschaft.